Auf den Spuren der Deutschen in Budapest




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Infolge der Magyarisierung und Assimilierung weiß man im Allgemeinen ziemlich wenig über die „deutsche Geschichte” der Hauptstadt, was an sich eine echte Besonderheit ist, wenn man bedenkt, dass es hier in diesem Fall über die Hauptstadt von Ungarn geht.

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Das Programm mit dem Titel Auf den Spuren der Deutschen in Budapest in der Reihe der Zentrum-Programme im HdU am 27. März startete mit einem Vortrag über die deutschen Stadtbewohner, Straßen, Plätze und Gebäuden im Veranstaltungssaal im Haus der Ungarndeutschen, anschließend machten die Teilnehmer einen Spaziergang durch die Innenstadt und Leopoldstadt.

István Soós hielt einen sehr interessanten Vortrag darüber, was eigentlich die deutschen Spuren im V. Bezirk, also in den Stadteile Innenstadt-Leopoldstadt von Budapest sind, und warum es so viele gibt.

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Nach heutigen Kriterien ist es sehr schwierig zu definieren, welche Leute die deutschsprachige Gesellschaft in Budapest zwischen 1686 und 1850 ausmachten. Die Zweidrittelmehrheit der Deutschen in der Gesamtbevölkerung von Pesth schrumpfte immer und wieder, und laut der Volkszählung im Jahre 1851 waren 40,5 Prozent der 90 Tausend Einwohner Deutsche, Anfang der 1890er Jahre nur noch 13 Prozent.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Pesth zum wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentrum der Königreich Ungarn. Es ist aber wichtig zu bemerken, dass die Einwanderung und die hiesige Tätigkeit der Deutschen wohl das Meiste zur Entwicklung der Stadt Pesth in diesem Jahrhundert beigetragen hatte. Es wurden Bäder, Wirtschaftshäuser, Kaffeehäuser, Hotels eröffnet, Druckereien errichtet, zahlreiche deutschsprachige Bücher herausgegeben und Zeitungen gedruckt. Interessanterweise existierte die Hochsprache in der Hauptstadt fast nur in gedruckter Form, in den höheren Kreisen und im Deutschen Theater, das gesprochene Deutsch auf den Gassen war von den verschiedensten Dialekten gefärbt. Die deutsche Sprache musste man jedoch beherrschen.

Noch im Jahre 1855 war dies für die Stadt charakteristisch, wie es auch aus dem Gedicht Die deutsche Sprache von Karl Müller hervorgeht, das István Soós aus der Sammlung Pest wie es lebt und leibt zitierte:

„Die deutsche Sprache ist vorherrschend,
Gefahr kannst Du nicht laufen,
Kannst vieles doch für gutes Geld
Und ungrisch Worte kaufen.” 

Das Gedruckte und Dokumentierte ist zum Glück erhalten geblieben, leider wurden aber die meisten Gebäuden abgerissen, so findet man heute nur die Spuren.

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Der Spaziergang begann auf dem Deák Platz. Es gab damals in den beiden Stadtteilen sieben Marktplätze: vier in Leopoldstadt, drei in der Innenstadt. Die Deutschen betrieben den Kohlmarkt (ein Markt für Gemüsewaren), wo heute der Ferenc-Deák-Platz ist. Der heutige Károly körút (die kleine Ringstraße) hieß früher Landstraße und hier begann auch die Waitzner Straße – nicht zu verwechseln mit der Waitzner Gasse – der heutige Bajcsy-Zsilinszky Weg. Der Bau der nach den Plänen vom deutschstämmigen Architekten Michael Pollack erbauten Evangelischen Kirche am Deák Platz war nicht nur für den evangelischen Deutschen, sondern auch für den Ungarn und Slowaken ein erfreuliches Ereignis. Herr Soós erwähnte auch, dass ein ungarischer Adeliger namens Miklós Jankovich das von Martin Luther eigenhändig geschriebene Testament Anfang des 19. Jahrhunderts gekauft hatte, das heute im Evangelischen Landesmuseum aufbewahrt wird.

Eine der ältesten Straßen nach der Türkenzeit ist die frühere Schiffsgasse oder Weiße Schiffsgasse, die heutige Fehérhajó utca. Hier befand sich das älteste, im Jahre 1696 erbaute Gasthaus – mit dem Namen „Zum Weissen Schiff” – der Stadt . Es war auch wegen seiner Konditorei sehr beliebt, wurde aber leider am Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen.

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Am Theaterplatz stand das ebenfalls von Michael Pollack entworfene Gebäude  des Deutschen Theaters. Das 1812 eröffnete Haus galt, bis zu seinem Abbrennen 1847, mit seinen 3500 Plätzen fürs Publikum als das größte Theater in ganz Europa. Der Platz wurde dann nach Gisela, einer Tochter von Franz Josef I. benannt, und erst seit 1960 trägt er den Namen Vörösmarty Platz. Unweit vom Theater stand ein berühmtes Hotel, dessen Besitzer Emmerich hieß und zweimal zum Stadtrichter gewählt wurde sowie auch Großhändler war und dazu noch sechs Hotels und Kaffeehäuser besaß.

Der Josefsplatz wurde zuerst nach Josef II. benannt, danach wurde zu Ehren des Palatins Josef umbenannt, weil er als Präsident der Verschönerungskomission die Stadt mit neuen, zwei- und dreistöckigen klassizistischen Gebäuden zieren ließ, und Anfang des 19. Jahrhunderts wesentlich zur Erweiterung und Verschönerung von Pesth beitrug.

Bemerkenswert und lustig ist es, wie die Straßennamen geändert und oft auch falsch übersetzt – eigentlich magyarisiert – wurden, erzählte der Referent beim Spaziergang. Zum Beispiel wurde aus der Goldene Handgasse (wo früher Goldschmiede tätig waren) Aranykéz Straße, oder aus der Alten Postgasse Régiposta Straße, aus Karpfensteingasse (der damalige Stadtrichter hieß Karpfenstein) Pontykő und dann Kőponty Straße, oder die nach Herrn Ungar benannte Ungargasse wurde als Magyar Straße übersetzt, was nicht auf die Nationalität der Bewohner hinweist.

Der außergewöhnliche und in Vielen noch weitere Erinnerungen wachrufende Spaziergang hatte um die zwanzig Stationen und endete in der Kígyó Straße, ehemals Schlangengasse, wo einst Apotheken sich aneinanderreihten.

István Soós kennt die Geschichte der besichtigten Stadtteile sehr gut, er verfasste sogar ein Buch mit dem Titel Deutsche in der Innenstadt-Leopoldstadt. Das Buch steht auch in der Zentrum-Bibliothek zur Ausleihe zur Verfügung.

Nándor Frei

Foto: Ludwig Grund
Zentrum.hu

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Förderer der Veranstaltung:
Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
Ministerpräsidentenamt • Staatssekretariat für die Beziehungen zu den Kirchen und zu den Nationalitäten
Fondverwalter Gábor Bethlen
NEMZ-KUL-19-1047

Organisiert vom:
Ungarndeutsches Kultur- und Informationszentrum und Bibliothek

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