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Die ungarische Regierung erklärte anlässlich des 70. Jahrestages der Internierung und Verschleppung von Bewohnern des Karpatenbeckens zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion 1944-1945 das Jahr 2015 zum Jahr des Gedenkens an die politischen Gefangenen und Zwangsarbeiter (NZ 5/2015). Am 25. Feber fand im Sitzungssaal des Oberhauses im Parlament eine Gedenkkonferenz „Trauma und Tabu – Malenki Robot 1944/45 – 2014/15“ statt, zu der auch zahlreiche Betroffene eingeladen wurden. Auch Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen hielt eine Rede, die wir veröffentlichen.
Sehr geehrte Teilnehmer der Gedenkkonferenz, liebe Anwesende!
Vieles ist bei der heutigen Veranstaltung angesprochen worden, so dass es mir als letztem Redner gegen das Ende hin fast schon schwer fällt, hier noch etwas Neues zu sagen. Es ist aber auch deswegen schwer, etwas zu sagen, denn wenn ich mich hier im Saal umsehe, muss ich feststellen, dass viele Betroffene anwesend sind. Es gibt kaum ungarndeutsche Familien, die von Malenki Robot, von der Vertreibung und der Entrechtung nicht betroffen wären: unsere Eltern, Großeltern waren die Leidtragenden und Opfer der kollektiven Bestrafungen, die auf der Rassentheorie begründet waren. Wir als Angehörige der Nachwuchsgenerationen tragen dieses Trauma bewusst oder unbewusst mit uns herum.
Und wir tragen es in der Tat mit uns herum: Wenn wir in Gesellschaft anderer Menschen oder vor der Öffentlichkeit in die ungarische Sprache wechseln oder sowieso nur noch Ungarisch sprechen. Wenn wir über dem Fragebogen der Volkszählung brüten und uns überlegen, ob wir die Rubrik „deutsch“ ankreuzen sollten oder sicherheitshalber nicht auch in die Rubrik „ungarisch“ ein X machen sollten. Wenn Wählerverzeichnisse zusammengestellt werden. Denn, man kann ja nie wissen…!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir konnten uns von den historischen Traumata noch nicht erholen. Solche Gedenktage, Gedenkfeierlichkeiten und Konferenzen können uns helfen. Und auch die ehrlichen Worte, die unverschleierte Aufdeckung der Ereignisse, die Aufklärung von Verantwortlichkeiten. Nur auf diese Art und Weise, durch Respekt vor dem Andenken an die Opfer und durch eine vorurteilsfreie und unbefangene Konfrontation mit der Vergangenheit haben wir eine Chance, eine ehrliche Gedenkkultur und eine starke Identität aufzubauen.
Aber es gibt auch Dinge, die uns nicht weiterhelfen, sondern im Gegenteil, sogar schädlich sind, weil sie nur Unsicherheit stiften. In den letzten Wochen fanden zahlreiche Gedenkfeierlichkeiten statt, mit schönen und erhebenden Gedanken aus dem Munde von führenden Politikern, die über die wichtige Rolle des Ungarndeutschtums beim Aufbau des Landes und bei der Verbürgerlichung unserer Gesellschaft sprachen. Und es ist in der Tat so: Wir bekannten und bekennen uns zu Ungarn wie zu unserer Heimat, zu unserem Zuhause und zu unserem Vaterland. Wir verstehen es dennoch nicht ganz, wenn man uns nur im Zusammenhang mit einer doppelten Identität nur als „deutschsprachige Ungarn“ erwähnt. Die Identität eines Menschen oder einer Gemeinschaft ist etwas sehr Intimes und zugleich etwas sehr Komplexes und wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Sie unterliegt daher einem ständigen Wandel. Wir sollten es den Menschen, den Familien und den kleineren und größeren Gemeinschaften überlassen, sich selbst und damit auch ihre eigene Identität zu definieren, und wir sollten ihnen keine Klischees aufzwingen. Vor allen Dingen keine Klischees, die nolens volens die Erwartung an eine Assimilierung suggerieren. Denken Sie nur ein wenig nach, wie absurd es klingen würde, wenn man die Ungarn in Oberungarn (Slowakei) als „ungarischsprachige Slowaken“ bezeichnen würde. Was hat das alles mit dem Thema der heutigen Konferenz und dem Gedenktag zu tun? Eines steht fest: Tausende von Mädchen, jungen Frauen und Männern wurden nicht deswegen zum Malenki Robot verschleppt, weil sie „deutschsprachige Ungarn“ waren. Das war ein wichtiger Gedanke, den ich Ihnen mitteilen wollte. Ich habe aber noch einen anderen Gedanken: Wenn wir heute der Opfer gedenken, die während der stalinistischen kommunistischen Diktatur zum Malenki Robot, also zur Zwangsarbeit in der Sowjetunion verschleppt wurden, dürften wir eines nicht vergessen. Es gab böse Menschen, die sich den Wirrwarr am Ende des Krieges zunutze machten und auch hierzulande mit einer außergewöhnlichen Spitzfindigkeit und Schnelligkeit Internierungslager errichtet haben. In genau zwei Monaten, am 25. April, ist es 70 Jahre her, dass der berüchtigte György Bodor nach Bonnhard kam, um die Übersiedlung der 1941 aus der Bukowina in der Batschka angesiedelten Szekler in die Region Talboden/Völgység vorzubereiten. Er ernannte sich eigenmächtig zum Regierungskommissar und hat – mit der tatkräftigen Unterstützung der Vollstreckungsorgane, insbesondere der Polizei – innerhalb von wenigen Wochen 4360 Familien, etwa 20000 Menschen, aus ihrem Zuhause vertrieben und ihres Vermögens beraubt. Der berüchtigtste Internierungsort befand sich im Schloss Apponyi in Lendl/Lengyel, von dem Bodor später selbst schrieb, dass das Schloss „zum Konzentrationslager ernannt wurde“.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich wollte an den nahenden Jahrestag auch deswegen erinnern, weil ich meine, dass sich die Forschung neben der Aufarbeitung des Malenki Robot auch der Aufklärung der inneren Internierungen widmen sollte, weil es auch auf diesem Gebiet noch viel zu tun gibt. Und auch wir selbst haben noch unsere Hausaufgaben: Wir müssen der Wahrheit ins Auge schauen, wir müssen der Opfer gedenken, Worte der Mahnung aussprechen und den unter uns lebenden Opfern Respekt zollen.
Jeder sollte nach Möglichkeit seinen eigenen Aufgaben auf seinem eigenen Posten nachgehen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!