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Ödenburger Familien im Porträt

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Die Puhrs

Vor kurzem traf ich Lujzi Puhr-Biczó auf der Straße. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie von ihrer deutschen Herkunft und davon, dass sie unlängst je einen Stammbaum mütterlicher- wie auch väterlicherseits anfertigen ließ. Das machte mich neugierig. Ich besuchte sie und hörte mir ihre Geschichte an.

Lujzis Urgroßvater, Ferdinand Puhr, k.u.k Tschismenmacher (Stiefelmacher), lebte in Rechnitz (heute Burgenland). Er übersiedelte im 19. Jahrhundert nach Ödenburg. Der Grund war angeblich einerseits die Liebe zu einer Ödenburgerin, Maria Huber, seiner späteren Ehefrau. Andererseits gab es in Rechnitz viele Schustermeister, so dachte Ferdinand, dass er in Ödenburg mehr Möglichkeiten zur Entfaltung finden würde. Sein Sohn, der auch Ferdinand hieß, und dessen Ehefrau, Anna Fruhstuck, hatten drei Kinder: Anna, Ferdinand und Gustav, Lujzis Vater.

Großvater Puhr kämpfte im Ersten Weltkrieg an der Front. 1921 kam er aus der russischen Gefangenschaft heim. In der Rosengasse angelangt, sah er seine drei Kinder auf der Straße spielen. Er fragte sicherheitshalber: „Seid ihr die Puhr-Kinder?“ Auf die bejahende Antwort sagte er ihnen, dass er ihr Vater sei. Daraufhin stürzten die Kinder ins Haus und schrien: „Muide, do is wer, der sogt, er is unser Vode.“ Erst als die Mutter den Fremden umarmte, glaubten die Kinder, dass tatsächlich ihr Vater vor ihnen steht.

Gustav Puhr (1915 -1992), Lujzis Vater, trat in den Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Schuster. Er übte diesen Beruf leidenschaftlich gerne aus, aber das Schicksal wollte es anders. Gustav konnte seinen Beruf nur mehr als Hobby betreiben: Wegen einer Lungenfellentzündung konnte er nicht mehr so lange sitzen, was aber bei einem Schuster nicht zu vermeiden ist. Deswegen arbeitete er in einer Fabrik, doch an langen Winterabenden reparierte er die Schuhe der Familie und die der guten Bekannten.

Gustav heiratete Luise Bierbaum, die Tochter von Alexander Bierbaum und Elisabeth Linzer. Alexander Bierbaum war ein fleißiger Pounzichter. Wie mir Lujzi erklärte, muss man zwischen Pounzichtern und Wirtschaftsbürgern einen Unterschied machen: Die Pounzichter waren Kleinbauern, die nicht allzu viele Weingärten hatten, diese ihnen jedoch ein solides, aber gutes Einkommen sicherten. Diejenigen, die viele Weingärten besaßen, waren die betuchten Wirtschaftsbürger. Die Bierbaums waren besser situiert als die Puhrs, so waren Luises Eltern nicht besonders erfreut über diese Ehe.

Gustav und Luise heirateten 1944. Das Glück dauerte nicht lange. Drei Tage nach der Hochzeit wurde Gustav einberufen. Kurz darauf kam er in Tabor (Tschechien) in Gefangenschaft. Die Zurückgebliebenen, die Puhrs und die Bierbaums, wurden 1946 vertrieben. Sie sind in Deutschland gelandet. Luise wartete immer auf eine Nachricht von zu Hause. Als die ersehnte Nachricht von der Rückkehr ihres Mannes sie endlich erreichte, packte sie ihre Habseligkeiten zusammen und flüchtete über die grüne Grenze nach Ödenburg. Das war tatsächlich eine Flucht, denn sie besaß keine Papiere. Sie musste sich in einem Saustall verstecken, da sie keine „Identität“ hatte. Als dann alles vorbei war, stellte sich auch der Kindersegen ein: 1946 kam Lujzi, 1959 Gustav zur Welt.

Oma Bierbaum kam einmal in den 50er Jahren aus Deutschland zu Besuch nach Ödenburg. Dieser Besuch wurde ein richtiges Abenteuer. Sie konnte ihre Fahrkarte in Deutschland nur bis Straßsommerein lösen, doch sie wollte weiter zu ihrer Tochter nach Ödenburg. Da sie kein ungarisches Geld besaß, bekam sie Schwierigkeiten mit dem Schaffner. Plötzlich erkannte Oma Bierbaum den strengen Mann, der ihr Cousin war. Er war aber nicht besonders großzügig, er ließ sie zwar nach Ödenburg fahren, begleitete sie trotz später Stunden nach Hause und forderte dort von der Familie das Geld für die Fahrkarte ein. Ebenfalls in den 50er Jahren durfte Lujzi mit der Mutter ihre Großeltern in Deutschland besuchen. Obzwar die Großeltern nicht mehr zurücksiedeln wollten, mussten sie doch Heimweh haben, was folgende Geschichte beweist: Lujzis Mutter sagte beim Abschied zu ihrer Schwiegermutter: „Bleib g’sund!“ Worauf ihre Mutter erwiderte: „I‘ wär g’sund, wenn i im Weidengrund hau’n könnt.“ Im Weidengrund in Ödenburg lag der einzige Weingarten der Familie, der nicht enteignet wurde, denn dieser wurde bereits auf Gustavs Namen überschrieben, als er noch minderjährig war.

Lujzis Muttersprache ist Deutsch. Sie lernte erst im Kindergarten Ungarisch. Sie hatte Glück, denn ihre kleinen ungarischen Freundinnen halfen ihr beim Erlernen der Sprache. Sie hatte eine schöne Kindheit. Sie erinnert sich gerne an die Wintertage, an denen der Vater mit ihr auf dem Spitalbach von der Großen Schwimmschule bis zur Pfarrwiese Schlittschuh lief.

Lujzi war Mitglied des Evangelischen Jünglingsvereins. Sie bekam dort die Aufgabe, einen Mitschüler vom Gymnasium in den Verein zu holen. Dieser war der Sohn eines evangelischen Pfarrers und hieß Zsolt Biczó. Lujzi erfüllte diese Aufgabe so gut, dass sich die beiden verliebten und heirateten. Die Puhr-Eltern waren gar nicht glücklich, dass ein Ungar in die Familie einheiratete, denn, „Ein ungarisch und ein deutsches Blut, tut im Saufassl nicht gut“.

Anscheinend ging es bei den beiden doch gut, denn sie sind jetzt seit 47 Jahren verheiratet. Lujzi bereut jedoch eines, den Kindern, Rita und Balázs, die deutsche Sprache nicht beigebracht zu haben. Wie sie sagte, sie wollte sie verschonen, sie wollte nicht, dass sich diese – wie einst Lujzi – ausgegrenzt fühlen. Die Enkelkinder aber wundern sich nicht, dass Oma Lujzi mit ihnen deutsch spricht, sie sprechen sogar die Reime und Gebete auf Deutsch fleißig mit.

Judit Bertalan

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