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„Thinking together“ – Das Jakob Bleyer Heimatmuseum empfing eine internationale Delegation

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The Association of European Open Air Museums, also der Verband der europäischen Freilichtmuseen, hielt im Freilichtmuseum „Skanzen“ in Sankt Andrä zwischen dem 19. und 22. August eine Konferenz mit 90 Fachkollegen aus mehr als 20 Ländern. Das Hauptthema war die Aufarbeitung des geschichtlichen und gesellschaftlichen Traumas bzw. wie wir diese in den Museen bzw. Freilichtmuseen den Besuchern näherbringen können. Es war eine Ehre für uns, als Kooperationspartner des Freilichtmuseums „Skanzen“, die mehr als 120 Gäste im Rahmen des Konferenzprogramms im Jakob Bleyer Heimatmuseum begrüßen zu können.  

Teilnehmer einer internationalen Konferenz wurden in Wudersch empfangen – Foto: Jakob Bleyer Heimatmuseum

Thinking together (Gemeinsam denken) – mit diesem Motto startete am 19. August der 31. AEOM-Kongress in Sankt Andrä, an dem wir auch teilnehmen konnten. Nach den interessanten Programmen mit wertvollen Vorträgen, klassischem Konzert und Feuerwerk am 20. August, konnten wir die Konferenzgäste am dritten Tag in unserem Museumsgarten empfangen. 

Dr. Miklós Cseri, Direktor des Freilichtmuseums „Skanzen“ in Sankt Andrä, eröffnete das Programm und begrüßte die Gäste, u. a. Bürgermeister Tamás Wittinghoff, AEOM-Präsidentin Hilde Schoefs, Dr. Ibolya Bereczki, die Vorsitzende des Verbands der ungarischen Heimatmuseen, und Emmerich Ritter, den Parlamentsabgeordneten der Ungarndeutschen. Dr. Cseri hob in seiner Rede die Bedeutung von Wudersch in der Geschichte der Ungarndeutschen hervor und sprach sehr positiv über die Arbeit des Jakob Bleyer Heimatmuseums. Danach hielt Bürgermeister Wittinghoff eine Rede, in der er durch persönliche Erlebnisse und durch Familiengeschichten aus den 1950er Jahren darüber erzählte, wie schwierig es gewesen war, mit deutschen Wurzeln und deutschen Familiennamen ein normales Leben zu führen. Hilde Schoefs fand unser „Hausbuch“ spannend und in ihrem Grußwort zitierte sie sogar einige berührende Zeilen aus dem Buch.

Schambeker Kulturprogramm im Museumsgarten – Foto: Jakob Bleyer Heimatmuseum

Nun stellte ich den Besuchern unser Museum vor. Viele der Konferenzgäste haben bisher von den Schicksalsschlägen der Ungarndeutschen kaum etwas gehört. Warum gibt es hier eine Einrichtung für die deutsche Minderheit?, lautete eine der Fragen. Ich versuchte in meiner Rede darauf eine Antwort zu geben. Danach machten meine Kollegen, Gabi Jaszmann, Vanessa Sztabina, Szabolcs Balczer, Gábor Tóth, und unser ifa-Kulturmanager Vincent Raab den Gästen thematische Führungen zu unseren laufenden Ausstellungen bzw. organisierten einen Spaziergang zum Alten Friedhof und zum Steinberg. Nach dem gemütlichen Abendessen zeigte die Lochberg Tanzgruppe dem internationalen Publikum die ungarndeutsche Tänze aus dem Ofner Bergland und brachte den Anwesenden ein schönes Schambeker Volkslied in der Mundart bei. Moderiert wurde das Programm von Sandra Fuchs.

Gruppenfoto mit den Schambekern – Foto: Lochberg Tanzgruppe

Die Veranstaltung war gut besucht, die Rückmeldungen der Konferenzgäste waren alle sehr positiv, es war ein echtes Geburtstagsgeschenk für unser 37-jähriges Heimatmuseum!

Dr. Kathi Gajdos-Frank
Direktorin, Jakob Bleyer Heimatmuseum Wudersch 

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„Museum – mit Kopf und Herz“ – Vorstellung des Jakob Bleyer Heimatmuseums in Wudersch
Vortrag von Dr. Katalin Gajdos-Frank
21. August 2024

Ich begrüße Sie alle hier in unserem Museum herzlichst. Ich möchte mich bei Dr. Miklós Cseri, dem Direktor des Freilichtmuseums „Skanzen“, sowie bei unserem Bürgermeister, Tamás Wittinghoff, und Präsidentin Hilde Schoefs für ihre einleitenden Worte, für Ihre Reden bedanken. Ich möchte auch Dr. Ibolya Bereczki, die Vorsitzende des Verbands der Heimatmuseen in Ungarn, und unseren Parlamentsabgeordneten, Emmerich Ritter, beziehungsweise sie, liebe Gäste, und die Mitarbeiter unseres Museums begrüßen.

Bitte erlauben Sie mir, Ihnen unser Museum vorzustellen. Ich möchte gleich mit einem Geburtstagskind, dem 37 Jahre alten Jakob Bleyer Heimatmuseum beginnen. Denn vor drei Tagen, am 18. August, jährte sich die Gründung unseres Museums zum 37. Mal. Es war im Jahre 1987, als unsere Sammlung anlässlich des Besuchs des späteren deutschen Bundespräsidenten, Johannes Rau, die Genehmigung erhielt, ein Museum zu werden. Hier, im sogenannten Weber-Haus in der Budapester Straße 1, konnte die ortsgeschichtliche Sammlung ein Zuhause finden. Die Eröffnung fand am 18. August 1987 statt. Die reiche Sammlung der lokalen deutschen Minderheit wurde in 5 Räumen dieses Gebäudes untergebracht.

Dr. Kathi Gajdos-Frank hielt einen Vortrag – Foto: Jakob Bleyer Heimatmuseum

Doch warum gibt es hier eine Einrichtung für die deutsche Minderheit, wie war die Beziehung zwischen Ungarn und Deutschen? Die beiden Nationen können auf eine über tausendjährige gemeinsame Geschichte zurückblicken, und die kulturelle Mittlerrolle der Deutschen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Unser Zusammenleben reicht so lange zurück wie der ungarische Staat selbst und begann mit einer Heirat. Als der erste König von Ungarn, Stephan der Erste (oder Stephan der Heilige) 996 die Tochter des bayerischen Fürsten, Gisella, zur Frau nahm, legte er den Grundstein dieser Partnerschaft für die kommenden Jahrhunderte. Deutsche Händler, Handwerker und Bergleute kamen in unser Land. Die erste große Migrationswelle war im 12. Jahrhundert, die bedeutendste fand jedoch nach der Vertreibung der Türken bzw. der Rückeroberung der Burg von Buda im Jahre 1686 statt, vor allem, um die entvölkerten Gebiete wieder zu besiedeln. Die Mehrzahl der Vorfahren der heutigen Ungarndeutschen, unsere Vorfahren, kamen in diesen Jahren ins Land. Das typische Schiff, die so genannte „Ulmer Schachtel“, wurde zum Symbol dieser Migration, da dieses Gefährt von den deutschen Kolonisten benutzt wurde, um von der deutschen Stadt Ulm über Wien die Donau hinunter nach Ungarn zu reisen. In der Ausstellung unseres Museums, die die Geschichte des alten Dorfes Wudersch darstellt, bekommen sie Informationen über die Geschichte der Ulmer Schachtel.

Die meisten der zugewanderten Deutschen waren Landwirte und brachten das nötige Know-how und Erfahrung mit, um große Flächen zu rekultivieren und neue Methoden in der Landwirtschaft zu etablieren. Das 19. Jahrhundert war in den deutsch-ungarischen Beziehungen durch ein friedliches Zusammenleben gekennzeichnet, doch mit der Zeit und der allmählichen Entwicklung der ungarischen Sprache setzte sich ein Assimilationsprozess ein, insbesondere auf dem Gebiet der Bildung. Obwohl die ungarisch-deutsche Gemeinschaft eher unpolitisch war, bildeten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts politische Bewegungen, um die Interessen der Minderheiten auf nationaler Ebene besser zu vertreten. Der Erste Weltkrieg und die Friedensverträge von Trianon (zufolge deren Ungarn den Großteil seines Territoriums und seiner Bevölkerung verlor) brachten weitere einschneidende Veränderungen mit sich: Von den ehemals rund 2 Millionen Deutschen blieben nur noch etwa 550.000 innerhalb der neuen Grenzen Ungarns. Die führende Persönlichkeit der deutschen Minderheit in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war der Namensgeber unseres Museums, Jakob Bleyer, der Germanist, Universitätsprofessor, Minister für die Minderheiten in der Regierung. Er setzte sich dafür ein, den Assimilationsprozess zu stoppen und die kulturellen und sprachlichen Rechte der ungarndeutschen Minderheit zu verteidigen. Nach dem Tod von Bleyer im Jahre 1933 wurde jedoch durch den zunehmenden Druck des deutschen Staates auf Ungarn auch die Situation der ungarndeutschen Minderheit immer schwieriger. Die Politik hat die Ungarndeutschen instrumentalisiert: zunächst von den Deutschen ab 1940 durch die Einberufungen, SS-Rekrutierungen (ab 1944 durch Zwangsrekrutierung), dann von den Sowjets und der ungarischen Regierung, ab 1944-45 durch Verschleppungen und die Vertreibung der Ungarndeutschen. Die Rote Armee verschleppte im Winter 1944-45 Zehntausende von Ungarndeutschen in die Sowjetunion zu „Wiedergutmachungsarbeiten“ (der so genannten Malenkij Robot), und ab 1945 wurde die deutsche Minderheit durch die Maßnahmen der ungarischen Regierung ebenfalls kollektiv bestraft. Der größte Schlag war die Vertreibung zwischen 1946 und 1948, in deren Verlauf über 220.000 Ungarndeutsche als Kollektivstrafe aus ihren Häusern und dem Land vertrieben wurden.

Ein ehemaliger Mitbürger von uns, Josef Hauser aus Wudersch, schrieb: „Es war furchtbar kalt. Die Transporte wurden in Viehwaggons durchgeführt. […] Um ehrlich zu sein, wurde die Vertreibung der Menschen nicht auf »geregelte und humane« Weise durchgeführt, wie es das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 der alliierten Mächte vorsah.“ Die Vertreibung von fast der Hälfte der Ungarndeutschen war auch für Ungarn selbst ein schwerer Schlag, da das Land ein großes Kontingent an talentierten, arbeitswilligen und landestreuen Menschen verlor. Als Symbol für die Anerkennung der Fehler der Vergangenheit haben sich seit dem Regimewechsel Ende der 1980er Jahre viele hochrangige ungarische Politiker im Namen der ungarischen Nation bei den Ungarndeutschen für diese Akte der Verschleppung und Vertreibung entschuldigt. Im Dezember 2012 hat das ungarische Parlament den 19. Januar zum Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen erklärt, da der 19. Januar 1946 der Tag war, an dem der Vertreibungsprozess begann und die nationale Kampagne hier in Wudersch startete. Seit 2018 haben die Ungarndeutschen sogar einen Sitz im Parlament und sind mit einem eigenen Abgeordneten, Emmerich Ritter, vertreten, den ich hier noch einmal begrüßen möchte.

Die Verschleppung, die Enteignung und die Vertreibung der Ungarndeutschen waren während der kommunistischen Jahrzehnte bis zum Regimewechsel ein Tabu. Ich selbst gehöre auch zu dieser deutschen Minderheit. Mein Großvater und seine Eltern wurden im August 1947 aus ihrer Heimat Wudersch vertrieben. Obwohl sich mein Großvater, Johann Frank, zurück ins Land geschlichen hat, konnte er das Haus und andere Besitztümer nicht zurückbekommen, er konnte nicht nach Wudersch zurückziehen, er lebte von da an in Budapest. Leider haben wir meinen Großvater vor 10 Jahren verloren, aber bis zu seinem Tod sprach er über diese Ungerechtigkeit, die er erlitten hatte. „Wir haben nichts Schlechtes getan, unsere einzige Sünde war es, Ungarndeutsche zu sein“, pflegte er immer zu sagen. Sein ehemaliges Haus, ein klassizistisches Gebäude mit mehreren Stockwerken, steht noch immer gegenüber der römisch-katholischen Kirche von Wudersch. Als mein Großvater die alte Heimat Wudersch besuchte und aus der Kirche kam, sah er immer sein ehemaliges Haus und bat uns mit Tränen in den Augen, den Platz so schnell wie möglich zu verlassen. „Ich kann mir das nicht ansehen, wir müssen weg von hier“, sagte er. Er konnte dieses Trauma nie verarbeiten. Vielleicht wurde ich genau aus diesem Grund – als Schülerin in den kommunistischen Jahren – so erzogen, dass die Geschichte der Ungarndeutschen, ihr Schicksal, alles, was ihnen widerfuhr, zu Hause nie ein Tabu war. Im Gegenteil, diese wurden zu einem wesentlichen Teil meines Lebens. Ich bin der Meinung, dass diese doppelte ungarische und deutsche Identität, die Tatsache, dass wir Ungarndeutsche sind, uns sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene bereichert.

Die Geschichte ist jedoch oft eine große Last, denn sie ist voller unverarbeiteter Traumata. Das Schicksal und die Geschichte der in Ungarn lebenden deutschen Minderheit darf für uns, für die dritte, sogenannte Enkelgeneration, kein Tabu sein. Durch unsere Forschungen, unsere Publikationen, durch die Ausstellungen und Projekte unseres Museums arbeiten wir kontinuierlich daran, diese Vergangenheit zu erforschen und dieses Erbe zu zeigen, damit wir unseren Kindern diese ungarndeutschen Werte näherbringen und so mit ihnen gemeinsam die Zukunft gestalten können. In den Dauerausstellungen des Heimatmuseums können wir in die Welt unserer Großeltern eintauchen, wir können in die Küche und die Paradestube der 1930er Jahre gehen. Wir spüren und sehen, wie unsere Vorfahren lebten, bevor sie vertrieben wurden. Unsere Sonderausstellungen zielen immer darauf ab, spannende oder berührende Aspekte der Kultur und Geschichte der Ungarndeutschen zu behandeln. Sie können sich jetzt unsere Zeitausstellung „Ungarndeutsche Frauenschicksale nach 1944“ ansehen, aber wir geben auch Gastausstellungen Platz, so bereicherte zum Beispiel letztes Jahr eine Ausstellung über die Autonomie Südtirols und den Weg dorthin unser Repertoire. Wir versuchen, alle Altersgruppen anzusprechen: In unserem museumspädagogischen Raum haben wir verschiedene Programme und Ausstellungen für Kinder organisiert. So gibt es einen Teil des alten Dorfes Wudersch aus LEGO. Im Museumsgarten gibt es einen interaktiven Lehrpfad über die Vertreibung der Ungarndeutschen. Dort ist auch ein „Kindermuseum“, ein Spielhaus für Kinder, zu finden, davor haben wir unseren Kräutergarten. Zudem bietet unser Garten einen offenen Bereich, in dem alte landwirtschaftliche Geräte und Maschinen zu sehen sind. Um es zusammenzufassen: Wir versuchen, viele bunte Projekte, Veranstaltungen und Bereiche abzudecken, um zu zeigen, wie spannend unsere Werte sind. In den letzten Jahren haben wir viele Brücken gebaut, mehrere unserer Aktivitäten betreffen deutsche oder ungarndeutsche Institutionen (einschließlich der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen), aber es gibt auch Kooperationen mit anderen Minderheiten. Wir versuchen auch Tabuthemen den Besuchern nahezubringen, z.B. mit einem, für das Museum adaptierten Audio-Spaziergang, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bühne Ungarn aus Seksard. Solche Museumserlebnisse ermöglichen den jungen Generationen, diese Zeit, diese Tabuthemen zu sehen, zu fühlen und zu verstehen, und das ist uns besonders wichtig.

„Museum – mit Kopf und Herz“, so hat uns die von mir so hochgeschätzte Universitätsprofessorin Dr. habil Maria Erb, definiert. Daran wollen wir uns bei jeder unserer Aktivitäten orientieren. Unsere Arbeit fanden auch die Fachgremien wertvoll, wir erhielten im Jahre 2018 die Auszeichnung „Heimatmuseum des Jahres“, und im Jahre 2020, in der Kategorie „Kleine Museen“, die Auszeichnung „Museum des Jahres“. Wir sind natürlich sehr stolz auf die Auszeichnungen.

Wir, die Enkel der Zeitzeugen, sahen und hörten noch von unseren Großeltern, welche tiefen Wunden die Verschleppung, die Vertreibung am kollektiven Körper der Ungarndeutschen hinterlassen hat, als sie kollektiv bestraft wurden. Doch es gibt keine kollektiven Sünden, Sünden sind immer persönlich. Deshalb ist es wichtig, dass alle Altersgruppen, vor allem aber die jungen Generationen, die Geschichte der ungarndeutschen Minderheit (und die aller anderen Minderheiten) kennenlernen. Abschließend möchte ich eine Schulgruppe zitieren, die an einem Projekt teilgenommen hat, das seit drei Jahren erfolgreich läuft und den Titel „Sprache des Herzens“ trägt: „Ein Stein wirbelt das Wasser nur ganz kurz auf und kann nicht so große Dinge bewältigen. Aber viele Steine können das stille Wasser aufwühlen. Gemeinsam sind wir stark.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Diese Veranstaltung ist eine große Ehre für uns und ein echtes Geburtstagsgeschenk für unser 37-jähriges Heimatmuseum. Besuchen Sie unsere Ausstellungen, meine Kollegen warten auf Sie.

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