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Eindrücke eines Freiwilligen
„Er ist einer von uns!” – sagte die Siebenbürger Sächsin ihrer Enkelin, als sie mich ihr an einem Abend vorstellte. Dieser Satz hat meinen ganzen Aufenthalt in Holzmengen im Harbachtal geprägt. Der donauschwäbische Freiwillige aus der Kirchenburg – so nannten mich die Holzmenger „Sommersachsen”. Die einstige historische Zusammengehörigkeit reichte völlig aus, um mich in dem sächsischen Kleindorf unter den deutschen Einwohnern heimisch fühlen zu können.
Aber wie kommt ein „Donauschwabe” zu den Siebenbürgen Sachsen, um einen Freiwilligendienst zu leisten?
Im April fand ich auf Facebook einen Aufruf von Ursula Stoll, sie suchte Jugendliche mit guten Deutsch- und Englischkenntnissen, die bereit wären zwei Wochen lang in der Kirchenburg Holzmengen als Touristenführer zu arbeiten. In meiner Gymnasialzeit habe ich mich schon für die Geschichte und Kultur der Siebenbürger Sachsen interessiert, als Student ist dieses Interesse noch größer geworden, so entschied ich mich für die Anmeldung.
Ich war vor meiner Ankunft jedoch voller Zweifel und Unsicherheit. Man hört viel darüber, dass die überwiegende Mehrheit der Sachsen schon in Deutschland lebt und besonders nach der rumänischen Wende ganze Dörfer sich leerten. Die ethnische Struktur der Ortschaften veränderte sich plötzlich, nachdem die meisten Sachsen ihre Häuser verlassen hatten. Viele Bekannte sagten mir: Da triffst du keine Sachsen mehr! Aber das war nicht ganz der Fall, zumindest in Holzmengen.
Holzmengen bildet eine Ausnahme in der Gegend! – behaupteten mehrmals die örtlichen Sachsen und zwar in der Hinsicht, dass viele „Sommersachsen” für mehrere Monaten heimziehen. Hier sind sogar immer noch rund fünfzig Häuser in sächsischem Besitz, meist schön renoviert. Die andere Besonderheit von Holzmengen im Verhältnis zu anderen Sachsendörfern ist, dass im Dorf ein sächsischer Jugendverein tätig ist, was heutzutage in Rumänien nur sehr selten vorkommt.
Der Verein Europäisches Jugendbegegnungszentrum Kirchenburg Holzmengen e.V. engagiert sich seit 1995 für den Erhalt, Ausbau und die Belebung der Kirchenburg. Das verlassene Pfarrhaus wurde renoviert und fungiert heute als eine Jugendherberge. Auf dem Gelände finden regelmäßig nationale und internationale Camps, Festivals und Freizeitprogramme in erster Linie für Kinder und Jugendliche statt. Auch andere Vereine und Organisationen, beispielsweise das Jugendwerk der Evangelischen Kirche in Rumänien, das Rote Kreuz Hermannstadt, die Pfadfinder, die Waldorfschüler aus Deutschland oder der Brukenthalschule, haben hier ihre Veranstaltungen.
Es war also auf jeden Fall eine tolle Möglichkeit, diese gute Initiative und mehrere Vereinsmitglieder kennenzulernen, bzw. im Jugendhostel in der unmittelbarer Nachbarschaft der Kirchenburg leben zu können.
Die Holzmenger Kirche wurde im 13. Jahrhundert als romanische Basilika erbaut, von dem damaligen Bau blieben nur das Westportal mit zahlreichen Relieffriesen sowie die Pfeiler mit den Arkaden, die das Hauptschiff von den Seitenschiffen trennten, erhalten. Um 1500 wurden die Seitenschiffe der Kirche abgetragen und es ist eine Festungsanlage entstanden, die von zwei Mauern umgeben ist. Die Kirchenbug erhielt ihre heutige Form im 19. Jahrhundert, als das Kircheninnere im klassizistischen Stil umgebaut wurde.
Innerhalb der Kirchenburg befindet sich ein kleines sächsisches Museum mit einem Souvenirshop, das war meine Dienststelle. Wenn Besucher kamen, führte ich sie herum. Und während meiner Aufenthalt kamen Viele, die Meisten aus Deutschland, Polen und aus der Schweiz. Ich hatte einen erlebnisreichen und „internationalen” Job.
In meiner Freizeit entdeckte ich die Gemeinde, ich unterhielt mich mit den Sachsen auf dem Straßenbank und fast an jedem Abend genoss ich die Gastfreundschaft einer sächsischen Familie. Diese interessanten Begegnungen und Gespräche bleiben ewige Erinnerungen. Ich konnte die Geschichte der Siebenbürger Sachsen hautnah erleben. In Ungarn wissen auch viele über den „Verkauf” der Sachsen unter dem Ceaușescu-Regime oder über die massenhafte Auswanderung nach der rumänischen Wende. Aber nur weniger wissen, wie und warum die Sachsen aus Siebenbürgen praktisch verschwunden sind. Ich traf einen Mann, den sogar Ceaușescu auf einer Audienz empfangen hatte, damit er erfährt, warum er auswandern will. Er wollte nämlich zu seiner schwangeren Frau. Ich erinnere mich noch auch gut an das Gespräch mit einer alten Sächsin, die eigentlich nie auswandern wollte, aber sie konnte den Verlust des ausgewanderten Sohnes nicht aufarbeiten, deshalb verließ sie mit ihrem Mann 1991 die alte Heimat. Man könnte über diese Schicksale ganze Romane schreiben… Der Hintergrund der Auswanderung wurde mir in den Tagen in Holzmengen auf jeden Fall viel klarer. Sie verlief – in meiner Auffassung – ähnlich der Einwanderung der Deutschen nach Ungarn, wie eine Welle. Viele wollten eigentlich nie weg, aber nur weil Verwandte, Freunde oder Nachbarn weg waren, taten sie auch nicht anders. Bei diesen Menschen spürte ich immer noch eine sehr starke Neigung zu ihrer „süssen Heimat“. Es ist ja erfreulich, dass immer mehrere für den ganzen Sommer heimkehren oder einige schon das ganze Jahr über bleiben. Das gibt vielleicht eine kleine Hoffnung für die Zukunft der Sachsen in Siebenbürgen. Sie stört das auch nicht, dass in 30 Jahren rund um sie alles völlig verändert hatte, nach ihrer Meinung sei sogar das Zusammenleben mit der Roma-Bevölkerung friedlich und unproblematisch, obwohl vor 1990 kaum Roma in dem Dorf gelebt haben.
Während meines Aufenthalts durfte ich Eginald Schlattner, den evangelischen Pfarrer von Rothberg kennenlernen. Herr Schlattner ist mit großer Wahrscheinlichkeit der letzte Pfarrer der Gemeinde, die Anzahl seiner sächsischen Gläubigen beträgt drei Personen. Nach dem Gottesdienst führte ich mit ihm ein sehr spannendes Gespräch. Er vertritt den Standpunkt, dass die Auswanderung der Sachsen eine „ethnische Selbstsäuberung“ sei. Er erzählte mir, dass zu Ostern 1990 noch die ganze Gemeinde zusammengefeiert hätte. Zu Weihnachten standen die Kirchenbänke praktisch leer, nur die Ältesten sind geblieben. Zwischen 2002 und 2016 zelebrierte er die Gottesdienste alleine. 2016 kam aber eine wundervolle Wende, es kamen weitere Leute und seitdem hat Pfarrer Schlattner immer einige Seelen in der Kirche. Er steht also sehr kritisch zu der Auswanderung, man muss aber hinzufügen, dass man das Dorfleben von Rothberg und den umliegenden Gemeinden mit Holzmengen nicht vergleichen kann. Die gegenwärtige Lage empfand auch ich tragisch und enttäuschend. Ich wünsche Pfarrer Schlattner noch viel Kraft und Gesundheit zur Fortsetzung seiner Mission!
Hermannstadt bildet einen augenfälligen Kontrast zu den verlassenen Sachsendörfern. Obwohl es in der Stadt ebenfalls wenige Sachsen geblieben sind, verfügt der ehemalige Hauptstuhl Siebenbürgens immer noch über eine deutsche „Ausstrahlung“. Für mich ist Hermannstadt einfach die schönste Stadt des Karpatenbeckens, es freut mich, dass ich in seiner unmittelbaren Nähe tätig war.
Leider musste ich aus gesundheitlichen Gründen früher, als geplant heimkommen, und so habe ich die Feierlichkeiten zu dem 700-jährigen Bestehen des Dorfes verpasst, aber die ländliche Idylle und die sächsische Gastfreundschaft von Holzmengen bleibt mir unvergesslich.
Eins ist sicher: Holzmengen und das Siebenbürger Sachsenland ist immer eine Reise wert!
Mein besonderer Dank gilt Ursula Stoll, Ruth Istvan, Maria Nicula, Regina und Martin Setz sowie Eginald Schlattner.
Martin Surman-Majeczki