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„Die Russen kommen!“ Diese Worte hat die damals neunjährige Theresia Harting, geb. Farkasch, noch sehr gut in Erinnerung. Im November und Dezember 1944 war diese Warnung in aller Munde. In Pußtawam/Pusztavám wurden deshalb die ersten Eisenbahntransporte mit schwangeren Frauen, Kindern und Alten von Moor aus nach Österreich, Böhmen und Schlesien in Sicherheit gebracht.
Flucht aus Pußtawam vor 70 Jahren – an dieses traurige Ereignis erinnerte die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn in Bayern (LDU), in Zusammenarbeit mit der Südostdeutschen Landsmannschaft Geretsried (SOD) und dem Arbeitskreis Historisches Geretsried in einer Gedenkveranstaltung. Unter den 110 Besuchern war auch der Altbürgermeister von Eurasburg Michael Bromberger. Bei seinen Eltern waren bereits vor Kriegsende ausgebombte Münchner, Franzosen und die geflüchteten Ungarndeutschen einquartiert.
Hans Schmuck, Vorsitzender der LDU, und Reinhold Mayer, Vorsitzender der SOD, gingen zunächst auf die historischen Hintergründe ein. Mayer zeigte eine Karte mit dem Fluchtweg der 31 Pferdegespanne aus Pußtawam, 80 Kilometer westlich von Budapest, nach Bayern. Der Weg führte über Kocs, Ödenburg nach Zillingdorf und Neunkirchen (Niederösterreich). Hier wurde der Flüchtlingszug am 6. 1. 1945 auf die Eisenbahn verladen und kam am 7. 1. 1945 früh in München an. Die Waggons kamen aufs Abstellgleis, da der Weitertransport über Holzkirchen nicht durchgeführt werden konnte. Es kostete Schinken und Tabak, um einen Lokführer für die Weiterfahrt über Starnberg und Bichl nach Beuerberg zu finden. Diese Aktion rettete den Flüchtlingen das Leben, da in der darauf folgenden Nacht der Bahnhof in München von den Alliierten bombardiert wurde. Der Empfang in Beuerberg war freundlich und sie wurden mit warmen Getränken, Brot und Marmelade versorgt, erinnerte sich Katharina Weiler, geb. Hodolitsch. Dieser Flüchtlingstransport war in Bayern am schnellsten in Sicherheit. Die anderen in alle Richtungen verstreuten Flüchtlinge aus Pußtawam wurden später von Franz Stammler nach Beuerberg geholt.
Georg Hodolitsch, der die Gespräche geführt hatte, gelang eine sehr gute Auswahl unter den Zeitzeugenberichten. Seine ungekürzten und unbearbeiteten Tonbandaufzeichnungen vermittelten den Eindruck von Liveerzählungen. So berichtete Katharina Weiler, geb. Hodolitsch, dass ihr Vater schon Monate vorher in seiner Post aus dem Krieg zur Flucht geraten hatte. Sie hatten sich damals nicht betroffen gefühlt, obwohl schon die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Banat und Jugoslawien nach Pußtawam kamen. Sie erinnerte sich auch an die Kälte während der Flucht mit dem Pferdefuhrwerk.
Anton Wagner schlief während der Einquartierung in Zillingdorf mit seinen Eltern im Stall und durfte in der Weihnachtszeit mit dem Bauern als junger Bursch zur Rehjagd mitgehen.
Anna Malatides, geb. Stettner, erfuhr nach der Flucht über Böhmen aufgrund einer Verwechslung bei Namensgleichheit vom Tod ihres Vaters. Später konnten ihre Mutter und sie ihn aber im Quartier in Gmund am Tegernsee wieder in die Arme nehmen und ihr Bruder Matthias, auf der Flucht im Februar 1945 geboren, sah zum ersten Mal seinen Vater. Ludwig Malatides, Annis späterer Mann, freute sich als Kind zunächst über die Bahnfahrt auf der Flucht. Durften sie doch abwechselnd aus dem Fenster schauen. Seine Reise ging zunächst bis in den Pongau und nach Kriegsende wieder zurück nach Pußtawam. Die endgültige Vertreibung 1948 ließ aber nicht lange auf sich warten. Katharina Fuhrmann, geb. Stettner, hatte auf der Flucht über die Tschechoslowakei zunächst Angst vor den schwarzen Amerikanern. „Die reißen euch die Ohrringe raus“, sagten die Leute unterwegs. Tatsächlich waren die Amerikaner aber sehr freundlich und schenkten ihnen Kekse und Schokolade. Ein Soldat begleitete die Flüchtlinge im Zug sogar bis Niederbayern.
Maria Wagner, die zunächst bis Radstatt/Österreich geflüchtet war, erzählte von dem Wunsch der alten Pußtawamer, trotz Warnungen durch die Österreicher, in die Heimat zurückzukehren. Schon auf dem Weg zurück bekamen sie die Deutschfeindlichkeit zu spüren. Ein russischer Soldat wollte ihrem Großvater die Stiefel abnehmen. Dies konnte sie dank eines Offiziers verhindern. In Pußtawam durften sie nicht mehr in ihre eigenen Häuser einziehen. Ihre Familie wurde im Februar 1948 endgültig in die damalige Ostzone vertrieben.
Bereits im Herbst 1945 war der Vater von Anton Wagner als Schmied ein willkommener Handwerker beim Gutsbesitzer Fuchs in Schwaigwall. Die Wagners zogen am 10. 09. 1945 als erste Flüchtlingsfamilie von Beuerberg nach Schwaigwall, damals Gemeinde Gelting, ab 1950 eigenständige Gemeinde Geretsried. Die Familien Wenus P., Gaal, Stumpf, Unger P. und Maratzi folgten kurz darauf.
Der Bauer Bromberger wurde von seinen Beuerberger Mitbürgern mehrmals wegen seiner schön bearbeiteten Felder gelobt. „Das machen meine Ungarn“, war laut den Erzählungen von Therese Harting damals seine lobende Antwort.
Die befragten Flüchtlinge und Vertriebenen haben es nicht bereut, dass sie in Geretsried eine neue Heimat aufbauen konnten. Trotz der Vertreibung aus Ungarn entstanden sehr bald wieder versöhnliche, persönliche Kontakte in die alte Heimat. Vertieft wurden die Begegnungen durch das Engagement von Andreas Netzkar mit der Ungarndeutschen Trachtengruppe Geretsried. Weiter vertiefen konnte die Kontakte speziell mit der Tanzgruppe in Pußtawam in den letzten Jahren Georg Hodolitsch mit neuen Ideen.
Die sogenannte „Ungarnsiedlung“ im Geretsrieder Norden mit den angesiedelten Pußtawamer Landsleuten heißt seit Jahrzehnten offiziell Dr. Bleyer-Siedlung. Im Ortszentrum von Pußtawam gibt es seit September 2014 einen Geretsriedpark.
Spontan stand die gebürtige Bayerin Anni Schmid am Schluss des Abends auf und erwähnte lobend, welch große Bereicherung die Ungarndeutschen aus Pußtawam für Geretsried waren. Selbst ihr Ehemann Anton Schmid bekam als Bäckermeister neue Anregungen. Verwundert waren sie, dass es die Flüchtlinge schafften, auf den steinigen Böden Paprika und andere bis dahin unbekannte Gemüsesorten zu ernten.
Ein ostpreußischer Besucher zeigte sich beim Gespräch mit dem Organisator überrascht, dass die erzählenden Flüchtlinge bayerisch und keinen „ungarischen oder fremdländischen Dialekt“ sprachen. Dies war aufgrund der bayerischen Mundart in Pusztavám normal und diese blieb natürlich in Bayern erhalten.
G. H.