Möchten Sie über ähnliche Themen erfahren?
Drücken auch Sie einen Like auf die –> Zentrum Facebook-Seite
Dr. Zsuzsanna Gerner mit dem Preis „Für die Nationalitäten” ausgezeichnet
Dr. Zsuzsanna Gerner wurde am 14. September 1963 in Seksard als zweites Kind von József Gerner und Katalin Quillmann geboren. Die Familie lebte damals in Badeseck, im Komitat Tolnau und bekannte immer schon ihre Zugehörigkeit zum Ungarndeutschtum, daher war es für sie selbstverständlich, dass die zu Hause erworbene deutsche Muttersprache auch bei der Schulwahl ihrer Kinder eine wichtige Rolle spielte. Zsuzsanna Gerner besuchte zuerst die Grundschule in Badeseck und nach dem Umzug der Familie nach Fünfkirchen die damals in fünf Wochenstunden Deutsch unterrichtende Grundschule in der Donát-Bánki-Straße. Ihr Abitur hat sie 1982 am Deutschen Nationalitätenklassenzug des Klara-Leőwey-Gymnasiums erworben. Ihr Studium hat sie an der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossen, und sie begann 1987 ihre berufliche Tätigkeit am Deutschen Nationalitätenlehrstuhl der Pädagogischen Hochschule, auch derzeit arbeitet sie an deren Rechtnachfolger, der Universität Pécs. Während ihrer langjährigen akademischen Laufbahn hatte sie dort verschiedene Positionen inne, sie war Leiterin des Lehrstuhls für Germanistische Sprachwissenschaft, dann Leiterin des Germanistischen Instituts, stellvertretende Dekanin der Fakultät für Geisteswissenschaften und ist derzeit als Leiterin des Lehrerbildungszentrums tätig. Dr. Zsuzsanna Gerner promovierte 1999 und habilitierte sich 2012 im Fach Soziolinguistik. Ihr Forschungsinteresse steht in enger Verbindung mit dem Ungarndeutschtum. Um nur einige ihrer Arbeiten zu nennen: Zum Verhältnis von Sprache, Sprechen und Identität (mit Blick auf die deutsche Minderheit in Ungarn); Identitätsfacetten einer zu Zwangsarbeit verschleppten Ungarndeutschen in ihren Briefen aus der Sowjetunion; Minderheitenexistenz in Mittel- und Osteuropa aus interdisziplinärer Perspektive; Das Selbstverständnis der Deutschen in Ungarn im Kontext der aktuellen ungarischen Minderheitenpolitik. Eine Zusammenfassung der Minderheitenwahlen 2006; Objektive und subjektive Gründe für den Sprachwandel in den deutschen Sprachinseln Ungarns. Ihr Portfolio beläuft sich auf mehr als fünfzig Veröffentlichungen, die mehrheitlich soziologische Studien zur deutschen Nationalität in Ungarn behandeln.
„Dr. Zsuzsanna Gerner ist eine Person, die nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene im Dienst ihrer Volksgruppe steht und dadurch in der ungarndeutschen Gemeinschaft große Bekanntheit und Anerkennung erlangte. Sie nimmt regelmäßig an öffentlichen Veranstaltungen der Ungarndeutschen teil, in der jüngsten Vergangenheit war sie bei der Einweihung des Denkmals für die Verschleppten in Waschkut und Hajosch sowie bei der Gedenkfeier auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Fünfkirchen anwesend und war auch beim Treffen der Fuldaer Dörfer in Nimesch dabei. Dr. Gerner beteiligt sich aktiv an der Umsetzung von Projekten der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, wie u.a. der Erstellung des Badesecker Ungarndeutschen Lehrpfades und an unterschiedlichen Schulungsprogrammen des Ungarndeutschen Pädagogischen und Methodischen Zentrums (UMZ). Als Leiterin des Lehrerbildungszentrums hat sie eine Kooperationsvereinbarung mit dem UMZ abgeschlossen, sodass ihre Lehramtsstudenten, die Deutsch als Minderheitenfach oder Deutsch als Fremdsprache unterrichten werden, die Möglichkeit haben, am Valeria-Koch-Bildungszentrum in Fünfkirchen Unterrichtspraktika zu absolvieren. Seit Januar 2014 ist Dr. Gerner Honorarkonsulin von Deutschland in Ungarn und dient in dieser Funktion als Ungarndeutsche gleichzeitig auch als ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Ländern. Sie erfüllt diese Aufgabe mit der gleichen Hingabe, wie alle ihre anderen Tätigkeiten. Dr. Zsuzsanna Gerner ist in ihrer Person, durch ihre Arbeit und ihr Engagement ein Vorbild für uns alle, und das möchten wir mit dem Preis „Für die Nationalitäten 2022” würdigen“ – schrieb Ibolya Hock-Englender, Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen in ihrem Empfehlungsschreiben.
Anlässlich der Auszeichnung „Für die Nationalitäten 2022“ wurden im folgenden Festinterview die Gedanken von Dr. Zsuzsanna Gerner über ihre ungarndeutsche Identität, ihre beruflichen Erfolge und ihre Zukunftspläne festgehalten.
Was bedeutet für Sie die Auszeichnung „Für die Nationalitäten 2022″?
Mit dieser Auszeichnung wird in Ungarn die Leistung von Vertretern der hier lebenden 13 Minderheiten gepriesen, und zwar am Tag der Nationalitäten. Somit bedeutet die Auszeichnung, die auch im Jahr 2022 Personen und Gruppen erteilt wurde, einerseits eine Würdigung und Ehrung der geleisteten Arbeit seitens der Mehrheitsnation. Die Anerkennung ist unter diesem Aspekt deshalb wichtig, weil dadurch unsere Existenz bestätigt und als etwas Wertvolles und Bereicherndes ins Blickfeld gerückt wird. Andererseits hat die Auszeichnung deshalb einen besonderen Stellenwert für mich und wahrscheinlich auch für die anderen Ausgezeichneten, weil die Nominierung für den Preis durch die jeweilige Nationalität erfolgt. Die Leistungen, in meinem Falle die Lehre, die ich seit 1987 an der Universität Pécs erteile, meine soziolinguistische Forschungstätigkeit und die Vermittlung derer wissenschaftlichen Ergebnisse an die Öffentlichkeit sowie meine Tätigkeit als Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland befanden die Meinesgleichen, also Vertreter der deutschen Minderheit in Ungarn, die für diese Volksgruppe stets im Einsatz sind und mir bei der Verwirklichung meiner Aufgaben oft zur Seite standen, als auszeichnungswürdig. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Was macht es für Sie aus, Ungarndeutsche zu sein?
Die ethnische Identität ist das Ergebnis der Sozialisation eines Menschen in einer ethnischen Gruppe, aus der das Individuum stammt. Ich bin deutschstämmig, meine Vorfahren lebten seit Generationen in Badeseck, somit bin ich in einer sprachlich-kulturellen Umgebung aufgewachsen, die meine Lebensorientierung von Vornherein bestimmte. Ich sprach schon immer die Sprache der Minderheit, früher auch den ostfränkischen Dialekt meines Heimatortes besser als heute. Durch meine akademische Ausbildung hatte ich die Möglichkeit, mich mit der deutschen Sprache samt ihren Varietäten auch auf wissenschaftlicher Basis zu befassen. Da die Sprache eine zentrale Rolle in der Identitätsbildung eines Menschen und einer ethnischen Gruppe einnimmt, hielt ich es für wichtig, sie auch an die nachkommenden Generationen zu vermitteln, sowohl in der Familie als auch an der Universität durch Lehre. Die Ethnizität eines Menschen ist zwar angeboren, das Identitätsgefühl eines Individuums beinhaltet jedoch neben dem Selbstbild als kognitive Komponente auch emotionale und motivationale Komponenten, aus deren Zusammenspiel sich eine Dynamik der Identität ergibt. Für die Bewahrung der deutschen Identität in Ungarn ist es daher wichtig, neben Kenntnis der eigenen Gruppe, Kenntnis der Traditionen und der Vergangenheit dieser Gruppe die affektive Dimension der Identität, worunter Gefühle der Bindung, Anhänglichkeit und Neigung zur eigenen ethnischen Gruppe zu verstehen sind, und die moralische Dimension, die als eine Verpflichtung der ethnischen Gruppe gegenüber interpretiert wird und z. B. die Weitergabe der Sprache, die Pflege der Traditionen bewirken kann, bewusst vor Augen zu halten. Kultur ist von einem lateinischen Wort abgeleitet, nämlich von colere, was unter Anderem pflegen und bearbeiten bedeutet. Ein aktiver Umgang mit dem kulturellen Erbe unserer Vorfahren ist aus meiner Sicht geboten, denn es kann je nach Pflege und Bearbeitung über mehrere Generationen hinauswirken und erhalten bleiben. Die Stiftung einer kollektiven Identität durch die Vorstellung einer gemeinsamen Geschichte und die Legitimation einer Nationalität durch diese gemeinsame Geschichte sind wichtige Bausteine der Erinnerungskultur. Es liegt an uns, ob und wie unsere Erinnerungskultur gegenwarts- und zukunftsbezogen ihren Zweck erfüllen kann.
Welche bedeutenden Momente Ihrer akademischen Laufbahn würden Sie hervorheben, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
Als Angehörige der deutschen Minderheit in Ungarn hatte ich die Möglichkeit, ein fünfjähriges Vollstudium der Fachrichtung Germanistik an der Humboldt-Universität in Berlin zu absolvieren. Meine Diplomarbeit habe ich bei einem hervorragenden Sprachhistoriker, Professor Erwin Arndt über die Entstehung der zu-Infinitive im Deutschen geschrieben. Meine Zuneigung zur Geschichte der deutschen Sprache ging mit einer intensiveren Beschäftigung mit den Dialekten des Deutschen und mit deren sprachgeographischen Analyse einher. Eine neue, gegenwartsbezogene Annäherung an die Sprache unter soziolinguistischem Aspekt habe ich während eines längeren Forschungsaufenthaltes in Heidelberg unter der Betreuung von Professor Klaus Mattheier kennengelernt. Zum Thema meiner Dissertation wählte ich danach die Analyse der Sprachkompetenz, des Sprachgebrauchs und der Sprachbewertung der deutschsprachigen Bevölkerung von Nadasch/Mecseknádasd. Ein weiterer Schwerpunkt in meiner Forschungsarbeit ist die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Identität, Ethnizität, Kultur und Sprache. Die letzteren drei sind wichtige Segmente der Identität – ihre Rolle ist von besonderer Brisanz, wenn es um eine Minderheit geht. Zum Thema meiner Habilitationsschrift wählte ich die Exemplifizierung der Identitätsbildung in mehrsprachiger Umgebung am Beispiel der deutschen Minderheit in Ungarn. Dem sprachhistorischen Ansatz bin ich insofern treu geblieben, dass ich in diese Analyse auch ältere Korpora einbezogen habe und auch als Mitglied verschiedener Forschungsgruppen in Deutschland stets bemüht bin, ältere deutsche Sprachdenkmäler aus Ungarn unter verschiedenen Aspekten zu präsentieren. Die erwähnten Annäherungsmöglichkeiten an Sprache und Identität wurden auch in die von mir unterrichten Curricula an der Universität aufgenommen, damit die Studierenden für Themen, die für die Gegenwart und für die Zukunft der und des Deutschen in Ungarn Relevanz haben, sensibilisiert werden. Seit 1987 nehme ich an der Ausbildung und Weiterbildung von Deutschlehrern teil, und ich bin natürlich immer sehr froh, wenn ich von ihren Erfolgen höre oder ihre Schüler unter den Neuimmatrikulierten an der Uni begrüßen darf. Neben Forschung und Lehre gab es auch andere Herausforderungen in meiner akademischen Laufbahn: zwischen 2006 und 2020 war ich Leiterin des Lehrstuhls für germanistische Sprachwissenschaft, zwischen 2015 und 2020 Institutsleiterin am Germanistischen Institut der Universität Pécs. Als Vize-Dekanin der Geisteswissenschaftlichen Fakultät war ich von 2009 bis 2016 tätig. Zur Hauptdirektorin des Lehrerbildungszentrums der Uni Pécs wurde ich 2017 ernannt. Von der Ungarischen Rektorenkonferenz (MRK) und von der Ungarischen Akkreditierungskommission (MAB) bin ich mehrmals beauftragt worden, landesweite Arbeitsgruppen zu leiten, deren Aufgabe die Erarbeitung der Ziele und Ergebnisse der Deutschlehrerausbildung (KKK) war. Den größten Misserfolg meiner beruflichen Laufbahn sehe ich darin, dass die unter meiner Leitung und Mitwirkung erarbeiteten, im Dezember 2021 veröffentlichten Ausbildungsziele der Deutschlehrerausbildung gerade am Germanistischen Institut der Universität Pécs missachtet wurden.
Was sind Ihre beruflichen Pläne für die Zukunft?
Als Hauptdirektorin des Lehrerbildungszentrums der Universität Pécs bin ich – zusammen mit zahlreichen Kollegen in verschiedenen Bildungsanstalten – bemüht, möglichst viele aufgeschlossene und leistungsfähige Jugendliche für die pädagogische Laufbahn zu gewinnen, denn pädagogischer Nachwuchs wird dringend gebraucht. Ich bin nach wie vor Mitglied in verschiedenen landesweiten Kommissionen, die zuständig für Bildungsanforderungen und -richtlinien im Hochschulwesen, insbesondere im Bereich der Lehrerbildung sind. Die Lehre trat unter meinen Tätigkeiten in der letzten Zeit aus mehreren Gründen ein wenig in den Hintergrund, was mich traurig stimmt. Was die Forschungspläne anbelangt, arbeite ich an einem Buch zum Thema Identität, welches auf Ungarisch veröffentlicht werden soll.
Quelle: LdU
Fotos: Gregor Gallai