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Unter dem Motto Gemeinsam – Vertrauensvoll mit Maria auf dem Weg fand am 8. und 9. Juli 2023 die 62. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben in Altötting statt.
Am 24. März 1946 gelobte Pater Wendelin Gruber zusammen mit seinen hoffnungslosen donauschwäbischen Landsleuten im Vernichtungslager Gakowa (Jugoslawien) in einer Messfeier jährlich aus Dankbarkeit zu wallfahren, „wenn wir am Leben bleiben“. Zu Pfingsten 1946 wiederholte er dieses Gelöbnis im Vernichtungslager Rudolfsgrad. An dieses Versprechen erinnerte der Jesuitenpater seine Landsleute, nachdem er nach sechs Jahren Gefangenschaft nach Deutschland entlassen worden war. 1959 gründete Gruber die Gelöbniswallfahrt nach Altötting, die seither alljährlich im Juli stattfindet.
Die diesjährige Pilgerfahrt begann am Samstag, dem 8. Juli mit dem Eröffnungsgottesdienst in der Stiftskirche mit Stiftskanoniker Johann Palfi und Dr. Franz Metz an der Orgel sowie dem Frauenchor „Weidenthaler Chormädels“. Anschließend hielt Dr. Kathi Gajdos-Frank den Vortrag Glauben und Identität – Religiöses Leben der Ungarndeutschen gestern und heute, der am Ende dieses Berichts ebenfalls zu lesen ist.
Nach dem Vorabendgottesdienst in der Basilika St. Anna mit dem Hauptzelebranten Pfarrer Paul Kollar konnte man an der wunderschönen Lichterprozession zur Gnadenkapelle teilnehmen.
Am Sonntag begann die Prozession mit Fahnen bzw. Pilger- und Trachtengruppen von der Gnadenkapelle zur Basilika. Aus Ungarn kamen Maria Herein-Kőrös und Csaba Schönberger, und es waren sogar Donauschwaben aus Brasilien mit dabei! Die Bundesjugend der Donauschwaben hat sich auch an der Feierlichkeit beteiligt, ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Jürgen Harich hat die Fürbitten im Gottesdienst vorgetragen. Hochamt zur Wallfahrt in der Basilika zelebrierte Vorsitzender des St. Gerhards-Werks Stuttgart Pfarrer Klaus Rapp.
Quelle: Jakob Bleyer Heimatmuseum
Fotos: Bundesjugend der Donauschwaben und Dr. Kathi Gajdos-Frank
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Glauben und Identität – Religiöses Leben der Ungarndeutschen
gestern und heute
Vortrag von Dr. Kathi Gajdos-Frank
62. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben in Altötting
8.-9. Juli 2023
Die katholische Kirche war seit der Ansiedlung der Ungarndeutschen die Institution, die den Rahmen für die gesellschaftlichen Normen vorgab und für die Ungarndeutschen eine ununterbrochene Kontinuität sicherte. Der katholische Glaube war ein wichtiges Element der ethnischen Identität und diente zur Aufrechterhaltung des schwäbischen Selbstbewusstseins. Die gesellschaftlichen und politischen Hindernisse haben das Leben der Ungarndeutschen nach 1944/45 jedoch völlig verändert. Es wurden mehr als 40.000 ungarndeutsche Zivilpersonen in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit verschleppt und mehr als 2.800 ungarndeutsche Kriegsgefangene deportiert. Aufgrund der Bodenreform im März 1945 wurden viele ungarndeutsche Landwirte enteignet, ab Januar 1946 mehr als 220.000 Ungarndeutsche vertrieben und viele Ungarndeutsche interniert. Für die in Ungarn gebliebenen Schwaben diente der Glaube als Überlebensstrategie: sie durften ihre Muttersprache nicht benutzen, Deutschsein war nicht mehr positiv und so blieb die Kirche die einzige Institution, die die Mitglieder der Gruppe verband. Die kirchlichen Zeremonien, das kollektive Gebet bedeutete für die Dorfgemeinschaft die einzige Möglichkeit, sich als Schwaben zu erleben. Und die katholische Religion sicherte auch für die internierten Ungarndeutschen Halt und Zuversicht.
Die Seelsorger waren „Helfer” in Not, was meine Beispiele aus meinem Geburtsort, aus Budaörs/Wudersch beweisen. Budaörs war eine rein römisch-katholische Gemeinde. Der religiöse Sinn offenbarte sich bei allen Anlässen des Kirchenjahres, an Sonn- und Feiertagen, bei Wallfahrten und Prozessionen. In großartigster Weise beging Budaörs das Fronleichnamsfest, an dem die Gläubigen einen Blütenteppich streuten, auf dem dann das heilige Sakrament umhergetragen wurde. Der Blumenteppich hatte eine Breite von 4-5 Metern und eine Länge von 2 Kilometern, er machte Budaörs weit und breit zu einem bekannten Ort, es reisten viele Leute an, um ihn zu bewundern.
Zum religiösen Leben der Ortschaft seien hier noch die Passionsspiele auf dem wunderschönen Steinberg erwähnt, die Budaörs landesweit bekannt machten. Der Spielraum war 70 Meter lang und 20 Meter breit, es gehörte ein Zuschauerraum mit 2000 Sitzplätzen dazu. Die erste Aufführung fand am 11. Juni 1933 statt. Infolge der Kriegshandlungen wurden die Passionsspiele 1941 leider abgebrochen und innerhalb einiger Jahre hat man die Kulissenzerstört, die Steine zusammen mit denen der Steinbergkapelle abgetragen.
Die Budaörser Deutschen konnten aber in diesen schwierigen Zeiten von der Kirche seelische Stärkung bekommen. Ungarndeutsche Männer wurden interniert, die erste Razzia traf die Budaörser am Fronleichnam 1945, die zweite auf dem Steinberger Kiritog im September 1945. Der Pfarrer wurde am Fronleichnamstag bei der letzten Station darauf aufmerksam und warnte die Leute gleich. Bei der Vertreibung der Budaörser im Jahre 1946 hat Kaplan Tamás Nyíri den ersten Transport begleitet, zelebrierte die heilige Messe, bestattete unterwegs einen alten Mann und fuhr zurück, brachte Briefe mit. Ein anderes berührend schönes Beispiel zeigte den wahrhaft aufrichtigen Kontakt zwischen dem Budaörser Pfarrer Dr. Zoltán Sík und seinen Gläubigen: er sandte am 27. Januar 1946 mit den Vertriebenen an den Pfarrer der Empfangsortschaft ein Empfehlungsschreiben:
„Hochwürdiger Herr Pfarrer!
Draußen steht Wagen an Wagen. Die Leute laden ihre Habseligkeiten auf und fahren langsam zum Bahnhof. Es ist für mich ein schrecklicher Anblick: als ob es ein fortwährendes Begräbnis wäre. Und in dieser Stimmung versuchte ich Ew. Hochwürden zu schreiben, damit ich wenigstens, was die Zukunft betrifft, ein wenig beruhigt werde.
Budaörs war eine rein katholische, ungefähr 12 000 Einwohner zählende Gemeinde. Ein recht konservatives, tief ehrliches, sehr fleißiges Volk, denn der Glaube, die Kirche ist der Mittelpunkt seines Lebens. Für die Priester war es eine große Freude, die große Zahl der Gläubigen zu sehen, die an allen kirchlichen Festen teilnahmen, wie z.B. die im ganzen Land berühmte Fronleichnamsprozession. Aber abgesehen von diesen zwar erbauenden, aber doch nur äußerlichen Erscheinungen, hatte der Seelsorger eine ständige stille Freude an ihrem tiefgläubigen Sinn, an ihrem festen Gottvertrauen.
Selbstverständlich war dieses letzte Jahr eine nervenzerreißende Belastung durch die Gefangenschaft vieler Menschen, die Internierung der Angehörigen, ein harter Prüfstein ihres Glaubens. Und jetzt, wo man schon im Stillen hoffte, dass alles langsam in Ordnung komme, kam dieses härteste Schicksalsschlag, dass sie alles, was ihnen gehörte, zurücklassen und in die unbekannte Zukunft ziehen müssten.
Ich tat alles, was mir nur möglich war, um ihre Seelen zu beruhigen, dass sie nicht unter dem fast zu schweren Kreuze zusammenbrechen. Ew. Hochwürden erwartet die schöne Aufgabe, offene Wunden ihrer Seelen zu heilen und sie in das neue Leben einzuführen. Ich bitte Ew. Hochwürden, diese Aufgabe mit viel Geduld und mit recht großer Liebe zu verrichten. Sie wird Ew. Hochwürden viel Freude und Gottes Segen bringen.
Mit herzlichem Gruß verbleibe ich
Ihr Pfarrer Sík Zoltán“
Mit dem Herbst 1944 endete grundsätzlich das bisherige Leben der Ungarndeutschen und in den darauf folgenden mehr als 40 Jahren durfte man darüber nicht reden, das Schicksal der Ungarndeutschen war ein Tabu-Thema im Kommunismus.
Das Festhalten an den Traditionen, die Kraft des Glaubens bezeugt aber sehr gut, dass die deutschstämmige Bevölkerung und die gläubigen Budaörser auch heute noch Hand in Hand die Blüten sammeln und diese bunte Pracht anfertigen. Nach der Wende wurden auch die zerstörten sakralen Denkmäler in Budaörs wieder aufgebaut und seit dem Jahr 2000 die Leidensgeschichte Christis erneut auf dem Steinberg aufgeführt.
Ein anderes positives Beispiel ist das Projekt Glaube stiftet Gemeinschaft, organisiert vom ungarndeutschen Jakob Bleyer Heimatmuseum in Budaörs. Es geht hier um Konferenzen und um die Unterstützung dreitägiger ungarndeutscher Klassenfahrten. Ich konnte an der 59. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben in Altötting teilnehmen und damals sind mir die Worte von Herrn Peter-Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der LM Banater Schwaben – „Glaube stiftet Gemeinschaft und überwindet Grenzen“ – lange im Gedächtnis geblieben. Als ich dann im Herbst 2020 die Ausstellung Auf Marias Wegen – Wallfahrten im Karpaten-Becken in Budajenő/Jeine besuchen konnte, dachte ich gleich an meine Erlebnisse in Altötting, an die Beziehung von Kirche und Nationalität. Die Worte Glaube stiftet Gemeinschaft begleiteten mich auch in dem Moment, als ich meinen Museumskollegen über die Idee – eine Zusammenarbeit mit Jeine und mit Nationalitätenschulen – erzählte. Auf gute Ideen müssen Taten folgen. Es laufen seit mehr als zwei Jahren die Projekte unter dem Motto Glaube stiftet Gemeinschaft, zu unseren Partnern gehört – neben dem Kornspeicher in Jeine mit der Ausstellung Auf Marias Wegen – auch der Verein für Ungarndeutsche Kinder und viele ungarndeutsche Schulen landesweit. Ziel der Programme ist die Stärkung unserer religiösen und ungarndeutschen Schätze, damit auch die Stärkung unserer ungarndeutschen Identität.
Zu Glaube stiftet Gemeinschaft organisieren wir auch Konferenzen. Im Jahre 2022, am Tag der Mariä Geburt, dem 8. September fand eine Tageskonferenz und die Lehrpfad-Eröffnung Vertreibung im Museumsgarten statt. Die Vortragenden hoben alle hervor, dass in den schwersten Epochen der Geschichte der Glaube an Christus ein Wegweiser war und die Gemeinschaft stärkte. Daher ist es auch für die Zukunft von großer Bedeutung, die Beziehungen zwischen der Kirche und den Minderheiten zu entwickeln.
Der Glaube ist für uns Ungarndeutsche selbstverständlich, den wir unseren Kindern und Enkelkindern weitergeben sollen. Zum Schluss möchte ich Ihnen aus dem Brief einer Schülerin zitieren, die an dem Projekt Glaube stiftet Gemeinschaft teilnahm: „Was ist Glaube? Glaube verbindet sehr unterschiedliche Menschen. Unabhängig von Einkommen, Geschlecht oder anderen Merkmalen gehört jeder, der an einen Gott glaubt, zusammen. Es gibt viele Feiertage in unserem Glauben. Diese Feiertage basieren auf Glauben und bedeuten uns viel – sie zeigen, dass wir zusammengehören.“
Diese Veranstaltungen und Begegnungen – so wie die Wallfahrten – geben uns Kraft zum Bewältigen der Alltagssorgen, stärken unsere ungarndeutsche Identität und helfen uns, auf Marias Wegen zu bleiben.
Ich danke Ihnen herzlichst für Ihre Aufmerksamkeit!
Verwendete Literatur
- Jakob Bleyer Heimatmuseum – „Geistige Kultur in Budaörs“, in: Ständige Ausstellung, 2018 Budaörs
- Glaube stiftet Gemeinschaft, Jakob Bleyer Heimatmuseum, 2021 Budaörs (S. 3, 39)
- Glaube stiftet Gemeinschaft 2.0, Jakob Bleyer Heimatmuseum, 2022 Budaörs (aus dem Bericht von Kutasné Sörös Judit, S. 21-21)
- „Rolle der katholischen Kirche in Ungarn 1944-50 am Beispiel der Ungarndeutschen“, Vortrag von Dr. Kathi Gajdos-Frank, Sindelfingen, 17. Juli 2021
- „Rögös utakon/Auf steinigen Wegen“, Red. Kovács, József László. Budaörs, Budaörs Német Nemzetiségi Önkormányzata/Deutsche Selbstverwaltung Wudersch, 2005 (Brief von Dr. Zoltán Sík, S. 33-34)