Möchten Sie über ähnliche Themen erfahren?
Drücken auch Sie einen Like auf die –> Zentrum Facebook-Seite
Ungarn nimmt in der Geschichte der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten einen besonderen Platz ein. Der Kongress 1991 in Budapest war der erste, der in einem Land des ehemaligen kommunistischen Blocks organisiert wurde. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unterstrich die Veranstaltung das neue Ziel der FUEN, die Dachorganisation aller europäischen autochthonen nationalen Minderheiten und Sprachgruppen zu werden. In den folgenden zehn Jahren verdoppelte sich die Zahl der FUEN-Mitgliedsorganisationen, und die neuen Mitglieder bedeuteten auch neue und vielfältige Herausforderungen. Ein wichtiges Ereignis des Kongresses 1991 war die Gründung der ersten Arbeitsgemeinschaft der FUEN, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM), die zum wichtigsten Forum der deutschen Minderheiten in Europa wurde und heute deutsche Minderheiten aus 26 Staaten vereint.
Zu Gast in der Stadt der vielen Minderheiten
Beim größten Treffen der autochthonen nationalen Minderheiten Europas vom 7.-10. September tauschten sich an die 200 TeilnehmerInnen aus 26 Ländern und 50 FUEN-Mitgliedsorganisationen über aktuelle Entwicklungen in der Minderheitenpolitik aus. Gastgeber war die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU).
Bei Podiumsdiskussionen, Kulturdarbietungen und Exkursionen in lokale Bildungseinrichtungen der Minderheiten hatten die TeilnehmerInnen die Gelegenheit, sich ein vielfältiges Bild der Situation der Minderheiten in Ungarn zu machen, in den persönlichen Austausch zu kommen und Anregungen für die Minderheitenarbeit vor Ort zu erhalten.
„Die Stadt Fünfkirchen kann mit Recht als würdiger Hintergrund für einen FUEN-Kongress bezeichnet werden, denn hier leben neben den Ungarn elf verschiedene Nationalitäten“, sagte LdU-Vorsitzende Ibolya Hock-Englender bei der offiziellen Eröffnung im Kodály-Zentrum.
FUEN-Präsident Loránt Vincze erinnerte an die herausragende Stellung Ungarns in der Geschichte der FUEN, die sich zur größten europäischen Organisation für die Interessen von Minderheiten entwickelt hat. „Zweifellos sind wir heute eine dominierende und führende Organisation, ein zuverlässiger Partner für europäische und internationale Organisationen.“
„Pécs/Fünfkirchen/Pečuh ist die Heimat von elf nationalen Minderheiten, und es ist eine historisch vielfältige, multikulturelle und einladende Stadt. Ich hoffe, dass Pécs ein inspirierender Veranstaltungsort für den Kongress sein wird und dass unsere Stadt die Arbeit der FUEN ebenso bereichern kann, wie die hier lebenden Nationalitäten unsere Stadt bereichern“, sagte Attila Péterffy, Bürgermeister von Fünfkirchen. „Die nationalen Minderheiten müssen weiterhin gemeinsam über ihre gemeinsamen Probleme, unsere gemeinsamen Anliegen nachdenken. Wir müssen unsere Erwartungen an die Entscheidungsträger in Europa formulieren“, betonte Árpád János Potápi, Staatssekretär für ungarische Gemeinschaften im Ausland.
„Minderheitenrechte sind kein Geschenk der Mehrheit und kein Privileg der Minderheiten, sondern das Recht, dass man anders sein kann und seine individuelle Freiheit ausleben kann. Wertschätzung und Vielfalt statt Homogenität sind elementare Ziele, nach denen wir streben sollten in Europa“, unterstrich Elisabeth Sándor-Szalay, Ombudsfrau für Minderheitenrechte und Mitglied des FCNM Beratenden Ausschusses des Europarates.
Emmerich Ritter, Vorsitzender des Nationalitätenausschusses des ungarischen Parlaments, meinte: „Was zu minderheitenpolitischen Fragen gehört, müssen wir bestimmen – von uns erfährt die Regierung, was für Minderheiten getan werden kann. Der Dialog ist elementar, um etwas zu bewirken.“
FUEN-Preisträgerin 2023: Renate Schnack – die mit den Minderheiten denkt
Da ist ein roter Faden, der sich reißfest und farbenfroh durch Renate Schnacks Leben zieht. „Die Idee der Gleichstellung und Chancengleichheit für alle Menschen – das war immer meine Motivation und tiefster Ansporn“, sagte die schleswig-holsteinische Politikerin, die im Rahmen des diesjährigen FUEN-Kongresses mit dem FUEN-Preis für außergewöhnlichen Einsatz und großes Engagement für autochthone, nationale Minderheiten und Sprachgruppen in Europa ausgezeichnet wurde. „Renate Schnack ist vor allem ein Vorbild, wenn es darum geht, Zielsetzungen und Strategien in der Minderheitenpolitik in die Tat umzusetzen. Wie sie es schafft? Sie ist einfühlsam, kann gut zuhören und hat diplomatisches Geschick – und gibt nie auf!“, betonte Gösta Toft, FUEN-Vizepräsident und als Nordschleswiger langjähriger Wegbegleiter der Preisträgerin, in seiner Laudatio.
Minderheitenrechte in Europa – wo geht die Reise hin?
Der Balkan kann Europa viel geben, und das gilt nicht nur für Sport, Wissenschaft oder gutes Essen, sondern auch für die Minderheitenrechte, die in einigen Ländern der Region besser sind als im übrigen Europa – wie Dr. Valentin Inzko, ehemaliger Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, im ersten Panel zum Thema Minderheitenschutz in der EU-Nachbarschaft sagte. In Serbien und Kroatien sind die Minderheitenrechte in der Verfassung verankert, verfügen die 23 bzw. 20 anerkannten Minderheiten, über ein breites Spektrum an individuellen und kollektiven Rechten, einschließlich der politischen Vertretung. Dennoch gibt es Probleme wie Hassreden – ein Phänomen, das durch die sozialen Medien und das Internet immer mehr an Boden gewinnt.
Wie kann die Rolle von Minderheiten in demokratischen Prozessen gestärkt werden? Welche Rolle spielt dabei die FUEN und welche sollte sie in Zukunft einnehmen?
Um diese elementaren Fragen ging es in der zweiten Panel-Diskussion. „Ein großer neuer Arbeitsbereich für Minderheiten und ihre Dachorganisation ist die Digitalisierung, speziell automatische Übersetzungen auch von Minderheitensprachen“, erklärte Prof. Dr. Paul Videsott, Professor für Romanische Philologie an der Freien Universität Bozen und wissenschaftlicher Leiter des Südtiroler Volksgruppen-Instituts.
Einen Schlüssel zum Erhalt von Minderheitenkultur und -sprache sieht Dr. Elisabeth Sándor-Szalay im Herantreten an die Mehrheit im jeweiligen Land. „Dazu braucht man kein Recht, der Dialog steht uns immer offen und die FUEN kann dabei unterstützen.“ Eben diesen Dialog hält auch Dr. Balázs Vizi, Forschungsprofessor, TK-Zentrum für Sozialwissenschaften – Institut für Minderheitenstudien, Ludovika-Universität für den öffentlichen Dienst, für elementar. „Die Öffentlichkeit muss lernen, dass autochthone Minderheiten nicht mit anderen Minderheiten – zum Beispiel sexuellen oder religiösen – verwechselt werden. Ihr kultureller Mehrwert muss noch mehr betont werden.“



Bewahrung der kulturellen Vielfalt: Theorie und Praxis
Der zweite Tag stand ganz im Zeichen der kulturellen Vielfalt und der Bemühungen, diese zu erhalten. In Ungarn gibt es 13 offiziell anerkannte Nationalitäten, und der Tag begann mit der Vorstellung von elf ihrer Selbstverwaltungen – den Deutschen, Kroaten, Slowaken, Rumänen, Roma, Bulgaren, Ruthenen, Slowenen, Polen, Serben, Griechen, Ukrainern und Armeniern.
Die Ergebnisse der Volkszählung 2011 zeigen, dass die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich als Minderheit bezeichnen, um ein Drittel gestiegen ist, aber dieselben Ergebnisse zeigen auch, dass viele von ihnen die Minderheitensprache nicht als ihre Muttersprache betrachten. Sprachverlust und Assimilierung sind für diese Gemeinschaften eine eindeutige und gegenwärtige Gefahr, aber sie versuchen, das Beste aus den Möglichkeiten zu machen, die sie haben. Tatsächlich nimmt die Zahl der Schüler, die Bildungseinrichtungen für Minderheiten besuchen, zu. Ein weiteres Problem ist die Abwanderung – sowohl in andere Länder als auch innerhalb des Landes. Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Volkszählung von 2022 werden allen ein klareres Bild von der Anzahl und dem Zustand der 13 in Ungarn lebenden Nationalitäten vermitteln.
Die Exkursionen im Anschluss an die Debatte führten die TeilnehmerInnen von der Theorie zur Praxis an verschiedene Bildungseinrichtungen für Minderheiten in Ungarn, wo sie die Gelegenheit hatten, mit der Schulleitung, den Lehrenden und Lernenden zu sprechen.
Die AGDM war im Valeria-Koch-Bildungszentrum zu Gast. Der Besuchergruppe wurden die Einrichtungen der Schule gezeigt, sie nahm an einem kurzen Kulturprogramm teil und besuchte eine Tanzklasse und den Lehrpfad. Das Ungarndeutsche Pädagogische und Methodische Zentrum in Ungarn war Gastgeber für die Arbeitsgruppe Bildung der FUEN. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe erhielten detaillierte Informationen über die Aktivitäten und Programme des pädagogischen Zentrums.
Die Arbeitsgruppe für Slawische Minderheiten (AGSM) lernte die 1952-1953 gegründete kroatische Schule kennen. Alle Lehrer des Instituts sind zweisprachig. Die SchülerInnen, die die Schule besuchen, beherrschen zum Schulabschluss beide Sprachen fließend.
Das Interesse der TeilnehmerInnen am Gandhi-Gymnasium der Roma-Minderheit war groß, da den meisten kein weiteres Beispiel dieser Art von Bildungseinrichtung in Europa bekannt war. Rund 200 SchülerInnen, nicht nur, aber hauptsächlich mit Roma-Herkunft, besuchen diese wirklich außergewöhnliche Schule, die gleichzeitig ein Internat ist, da die SchülerInnen aus ganz Ungarn stammen. „Unser Ziel ist es, die jungen Menschen länger im Bildungssystem zu halten, als es sonst der Fall wäre, und sie durch ein ausgeprägtes Identitätsgefühl stark zu machen für ein Leben, in dem sie leider mit Diskriminierung konfrontiert werden“, erklärte der Schulleiter.
Delegiertenversammlung beschließt Appelle an die große Politik
Auf der Delegiertenversammlung wurde die in diesem Jahr zweigeteilte FUEN-Hauptresolution beschlossen. Darin heißt es: „Die FUEN fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die bestehenden Konsultationsmöglichkeiten, über die sie in einen Dialog mit autochthonen nationalen Minderheiten treten, neu zu bewerten. Die bestehenden Vereinbarungen müssen für einen Meinungsaustausch zwischen Minderheiten und Mehrheiten besser genutzt werden.“ Darüber hinaus richtet die FUEN einen Appell an die Europäische Kommission, ihre Entscheidung über die Ablehnung der Minority SafePack Initiative (MSPI) nochmals zu überdenken. Im zweiten Teil der FUEN-Hauptresolution zum Schutz der nationalen Minderheiten in der Ukraine verurteilt die FUEN erneut „nachdrücklich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die russischen Besatzungstruppen auf dem Gebiet der Ukraine“ und „fordert die Ukraine auf, eine integrative Minderheitenpolitik für die Nachkriegszeit zu entwickeln und die ethnolinguistische Vielfalt als eine Bereicherung der ukrainischen Gesellschaft und als integralen Bestandteil der gesamtukrainischen Identität zu betrachten“. Darüber hinaus wurden zehn weitere Resolutionen verabschiedet.
Der FUEN-Kongress endete mit einem Besuch in Wemend, wo man die sprichwörtliche Gastfreundschaft in einem Weinkeller und in der Sporthalle sowie das Kulturprogramm der Nationalitätengruppen genießen konnte.
Der FUEN-Kongress 2024 wird in Husum/Hüsem, Deutschland, stattfinden. Gastgeber wird die FUEN-Mitgliedsorganisation Friesenrat Sektion Nord sein, welche die nordfriesische Minderheit vertritt. Austragungsdatum wird voraussichtlich der 19.-22. September 2024.
Weitere Informationen zum FUEN-Kongress finden Sie auf https://congress2023.fuen.org sowie auf den Social-Media-Kanälen.
Text und Bilder: Johann Schuth, Neue Zeitung